Berg- und Wanderwoche Bendelstein / Steinach am Brenner - 25. Juli bis 2. August
1987
Hermine (sehend), Stephan (blind) und ich (sehend) bildeten bei der
Blindenbergwoche in Steinach am Brenner ein Redaktionsteam, um einen Bericht
über diese Freizeit zu schreiben.
Es ist nun meine Aufgabe, die Gedanken meiner beiden Kameraden und auch meine
eigenen in einen gemeinsamen Text zu fassen.
Ich möchte jedoch die Berichte von Hermine und Stephan wörtlich
wiedergeben, da es mir wichtig erscheint, daß jeder das ausdrücken
kann, was er für wichtig hält.
"Der Herr ist dein Hüter,
der Herr gibt dir Schatten;
er steht dir zur Seite.
Bei Tag wird dir die Sonne nicht schaden
noch der Mond in der Nacht.
Der Herr behütet dich vor allem Bösen,
er behütet dein Leben."
Leo und seine Mutter Marianne haben es uns ermöglicht, die herrliche
Bergwelt Tirols kennenzulernen. Vom Obernberger Tribulaun bis zum Steinacher
Jöchl, vom Venntal (Kraxntrager) bis zum Stubaital (Rinnenspitze) wurde
uns alles ermöglicht, um unsere Kräfte zu testen.
Leo's Energie hatte uns bereits am Anfang der Woche so stark ergriffen,
daß auch der anfangs "Genießergruppe" genannte Teil der
Wanderer sich gegen Ende der Woche immer weiter Richtung 3000
m Höhe bewegte.
Doch dies schien für Günter, Stephan und Christoph noch immer zu
wenig zu sein. Auch mit Rosina durften wir an manchen Abenden schöne
Stunden mit Yoga - begleitet durch das Klavierspiel ihres Mannes -
verbringen.
Wir spürten in unserer Gruppe viel Wärme, Liebe und Geborgenheit,
sodaß man am Ende der Woche spüren konnte, wir haben wieder viele
Freunde gewonnen, und diese Bergwoche wird uns allen in bleibender Erinnerung
sein.
Hermine Mair, Linz
Für mich als Blinden war am eindrucksvollsten und schönsten die
Erfahrung, wieviel Vertrauen uns - und speziell mir - von den Sehenden
geschenkt wurde. Dies spürte ich am stärksten bei der Tour auf die
Rinnenspitze (3003 m). Das letzte Stück war
reine Kletterei. Da ich zuvor nie geklettert war, hatte ich schreckliche Angst,
besonders vor dem Abstieg. Da fühlte ich, daß meine Führerin mir
wesentlich mehr zutraute, als ich mir selber, und dies nahm mir
schließlich sogar die Angst. Für dieses geschenkte Vertrauen kann ich
nicht dankbar genug sein.
Ebenfalls schön war, daß es jeden zweiten Tag eine Gemeinschaftstour
gab, sodaß die Gesamtgruppe nicht in zwei Leistungsgruppen
zerfiel.
Stephan Müller,
BRD
So, und nun meine Gedanken! Es ist nicht sehr leicht, das wiederzugeben, was
ich bei dieser Blindenfreizeit erlebt habe. Ich könnte natürlich
erzählen, auf welchen Bergen wir waren, was wir unternommen haben und
welche Leute ich kennengelernt habe.
Doch wie soll ich meinen Eindruck beschreiben von meiner Ankunft am Bahnhof in
Steinach, als ich zum ersten Mal mit den blinden und sehenden Teilnehmern
zusammentraf, die mich sofort in ihre Gemeinschaft eingeschlossen haben. Dieses
spontane Entgegenkommen und unglaubliche Vertrauen zwischen den einzelnen
Menschen haben sicherlich dazu beigetragen, daß ich meine
anfänglichen Ängste über den Umgang mit den Blinden sofort
vergaß. Ich war verblüfft, wie selbständig sie sind und wie
problemlos das Wandern mit ihnen war.
Für mich war es wichtig, bei der ersten Wanderung Roswitha führen zu
dürfen, die mit mir über ihre Behinderung, das Blindsein, sehr offen
sprach, und damit sehr zu meiner Unbefangenheit beigetragen hat.
Die Tatsache, daß wir uns in der Gruppe sehr gut miteinander verstanden
haben, war sicher mit ein Grund dafür, daß unsere Wanderungen so
angenehm verlaufen sind. Aber ganz wichtig war vor allem, daß jeder Tag
von Leonhard und Marianne so sorgfältig vorbereitet wurde, und Schwester
Bertholda für unsere geistliche Unterstützung sorgte.
Ich bin froh, daß Leonhard mich auf diese Blindenbergwoche aufmerksam
gemacht hat, denn ich habe dadurch nicht nur Tirols wunderschöne Bergwelt
ein wenig kennengelernt, sondern eine sinnvolle Möglichkeit, mit lieben
Menschen zusamenzutreffen und ihnen eine Freude zu bereiten. Doch ich habe auch
mir mit dieser Woche eine große Freude gemacht, denn ich bin sehr
glücklich nach Hause gefahren und werde noch lange von den dort gewonnen
Eindrücken zehren.
Andrea Siegmund, Leoben (sehend)