Wandern in Stubenberg am See (je nach Wetter mit Möglichkeit zum Schwimmen)
- 2011
"Man soll sich nicht daran orientieren, was man nicht mehr kann,
sondern daran, was man noch kann."
Das wird in dieser Woche überdeutlich. Als "verstädtertes"
Nordlicht aus Bremen, das als Sehende teilnimmt, lässt der eindrucksvolle
Eingangssatz nur schwach erahnen, welchen Prozess es für Nichtsehende
bedeuten muss, diese Worte als Leitgedanken fürs Leben anzunehmen. Ilse hat
ihn mir, während wir durch hohe regennasse Gräser Richtung Grafendorf
stapfen, mit auf den Weg gegeben. Unglaublich, mit welcher Sicherheit sie und
andere Nichtsehende über hohe Wurzeln auf den Waldböden bergauf und
bergab-, durch sumpfige Wiesen hindurchgehen. Mir zieht es im Morast, zur
großen Belustigung der in unmittelbarer Nähe stehenden
TeilnehmerInnen, den matschdurchtränkten Turnschuh aus. Weiter geht's an
Maisfeldern entlang, über enge Pfade durch Büsche und hohe Wiesen, die
die Blinden hervorragend bewältigen. Selbst Christel überwindet ihre
Angst und bezwingt den Aufstieg zum Gipfelkreuz des Buchkogels. Welche Freude,
das unmöglich Scheinende geschafft zu haben! Hans erklärt mir, dass er
die Bäume im Vorbeigehen hören kann und ihnen auf diese Weise
ausweicht. Und er hört noch mehr: Buchfink, Rotkehlchen,
Mönchsgrasmücke, Goldammer, Rauchschwalbe und sogar den Zilpzalp.
Toni, unser ortskundiger Leiter, wird nicht müde, uns die immer wieder
wechselnden Landschaften und Berge zu beschreiben. Das eindrucksvollste Panorama
gewinnen wir vom Plateau der 1254 m hoch gelegenen
Wildwiesenwarte, die wir mit 147 Stufen erklimmen.
Immer wieder sind weithin leuchtende rote Früchte vor Tonis Zugriff nicht
sicher. Kirschen (nach Erlaubnis) und Walderdbeeren werden rasch gepflückt
und verteilt. Sogar Eierschwammerl und Täublinge wandern frisch gesammelt
direkt in die Pfanne des Gasthauses, in dem wir zu Mittag essen. Gleichwohl, was
wäre unsere Gruppe ohne Rudi gewesen. Er war stets bemüht, das Ende
unserer "Herde" zu bilden und darauf zu achten, dass niemand verloren
ging. Und er war immer "gut drauf" und frönt abends auch mal gern
Wein, Weib und Gesang. Bei unserer kleinen frühmorgendlichen Badetruppe im
Stubenberger See war er allerdings nicht dabei. Ein außergewöhnlicher
Genuss schon vor dem Frühstück!
Ein herzliches Danke an unsere Leitung, die uns souverän durch diese Woche
geführt hat.
Ein ebenso herzlicher Dank an alle Sehenden und Blinden, die mir zu einer
erweiterten Sichtweise des Lebens verholfen
haben.
Clemi E.,
sehend