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zur Navigation Inhalt überspringen Tandemwoche in Holland vom 11. bis 23. August 1995

War es anfangs nur ein flüchtiger Gedanke gewesen, so entwickelte es sich rasch zur fixen Idee von Eva, Klaus und mir, zur Abwechslung einmal nach Holland zu fahren. Zweimal war ich mit großer Begeisterung beim Bergsteigen in Imst dabeigewesen, und so hatte ich schon ein wenig Erfahrung mit Blinden. Doch diese Woche war in vielerlei Hinsicht etwas völlig Neuses für mich. Die Vorfreude auf das mir fremde Land, die Frage, wie ich mit dem Tandemfahren zurechtkommen würde und die Liste voll unbekannter Namen - dies alles trug dazu bei, daß ich am Abend des 10. August mit recht gespannten und erwartungsvollen Gefühlen am Linzer Bahnhof eintraf.
Ehrlich gesagt - um die Worte von Gerlinde, unserer lieben Mama, zu gebrauchen - kann ich mich an die Zeit am Bahnhof vor lauter neuen Gesichtern gar nicht mehr richtig erinnern. Als wir dann aber endlich alle wohlbehalten im Zug waren und sich der Gepäcksverstau-Streß gelegt hatte, kam es mir so vor, als wäre ich schon ewig mit Franz, Hans, Adi, Gerlinde, Veronika und all den anderen beisammen. Es wartete eine 15stündige Zugfahrt auf uns, die wir anfangs redend und dann mehr oder weniger gut schlafend hinter uns brachten. Im Laufe der Nacht vervollständigte sich unsere Gruppe, und nach zweimaligem Umsteigen wurden wir schließlich am Bahnhof Winsum von "den Holländern" herzlichst begrüßt und zu unserem Quartier nach Zoutkamp gebracht. Nach einer kleinen Stärkung machten wir uns gleich daran, das Tandemfahren zu probieren, und überraschenderweise gewöhnte ich mich nach der ersten Wackelpartie relativ schnell an den neuen Drahtesel. Schon am ersten Abend kannte ich fast alle Leute unserer alters- und herkunftsmäßig buntgemischten Gruppe. Waren Eva, Klaus und ich als Teenager die Jüngsten, so stelle unser bewundernswerter Köcher Johann mit seinen 83 Jahren das Paradebeispiel für einen gesunden und junggebliebenen Senior dar. Wie am ersten Abend, so saßen wir auch an den folgenden stets gemütlich beisammen, und wenn sich auch mit vorgerückter Stunden die Reihen mehr und mehr lichteten, der harte Kern blieb immer noch bis spät in die Nacht (früh am Morgen?) Tags darauf hieß es dann allerdings wieder aufstehen, ob man wollte oder nicht. Nach dem Frühstück wurde abgewaschen, wurden Kartoffeln geschält, Räder repariert (an dieser Stelle sei ein großer Dank an Adi, unseren Patschenpick-Spezialisten ausgesprochen!) und diverse andere Dinge gemacht, sodaß es immer einige Zeit dauerte, bis wir letztendlich abfahrbereit waren. Dann aber ging's gleich frisch und munter los, durch die flache holländische Landschaft, die an niemanden allzu große Anforderungen stellte. Meistens fuhren wir einem Ziel entgegen, sei es die Bonifatiuskapelle in Dokkom, Groningen, das Seehundekrankenhaus in Pieterburen, eine Senffabrik und ein Teemuseum oder die Insel Schiermonnikoog, auf der wir das traumhaft schöne Wetter zum Schwimmen in der Nordsee nützten. Nicht zu vergessen ist natürlich das Wattlaufen. Je nach Größe mindestens bis zu den Knien im Schlick versunken, waren wir nicht nur schwarz vom Dreck, sondern stanken auch dementsprechend. So verging Tag um Tag, und einer war erlebnisreicher als der andere. Darum kam es für uns alle wohl ziemlich überraschend, daß plötzlich schon der Abschlußabend vor der Tür stand. Nun wurden noch schnell "Gstanzln" gedichtet, heimlich Geschenke besorgt und andere Vorbereitungen getroffen, sodaß alle Voraussetzungen für einen gelungenen Abend erfüllt waren. Natürlich gab es auch so manche, deren Vorbereitungen vor allem darin bestanden, Steine, Brennesseln und anderes zu sammeln, um damit die Betten der anderen Leute aufzufüllen ...
Tatsache ist, daß wir wirklich noch einen schönen Abend verbrachten, der uns den Abschied am nächsten Tag sicher nicht leichter gemacht hat. So schieden wohl alle recht schweren Herzens voneinander und ich denke noch immer mit viel Freude an die schöne Zeit in Holland zurück, die Erinnerung daran erhellt so manche triste Stunde meines Schulalltags.

Gertrud Zauner, St. Oswald / Haslach (sehend)