Die Gedanken sind frei
(Hinter mancher Zeile steht in eckigen Klammern [] eine übliche Alternative!)- Die Gedanken sind frei,
Wer kann sie erraten,
Sie fliehen vorbei,
Wie nächtliche Schatten.
Kein Mensch kann sie wissen,
Kein Jäger erschießen, [Kein Jäger sie schießen]
Es bleibet dabei: [Mit Pulver und Blei.]
Die Gedanken sind frei! - Ich denke was ich will
Und was mich beglücket,
Doch alles in der Still',
Und wie es sich schicket.
Mein Wunsch, mein Begehren
Kann niemand verwehren,
Es bleibet dabei:
Die Gedanken sind frei! - Ich liebe den Wein,
mein Mädchen vor allen,
sie tut mir allein
am besten gefallen.
Ich bin nicht alleine
bei meinem Glas Weine:
mein Mädchen dabei,
die Gedanken sind frei! - Und sperrt man mich ein
In finsteren Kerker,
Das alles sind rein [Ich spotte der Pein]
Vergebliche Werke; [Und menschlicher Werke.]
Denn meine Gedanken
Zerreißen die Schranken
Und Mauern entzwei,
Die Gedanken sind frei! - Drum will ich auf immer
Den Sorgen entsagen
Und will mich auch nimmer [Und will dich auch nimmer]
Mit Grillen mehr plagen. [Mit Willen verklagen.]
Man kann ja im Herzen
Stets lachen und scherzen
Und denken dabei:
Die Gedanken sind frei!
Text und Melodie in "Lieder der Brienzer Mädchen", in Bern zwischen 1810 und 1820 gedruckt, ähnlich Hoffmann-Richters "Schlesischen Volksliedern", Leipzig 1842, Text auf süddeutschen Flugblättern aus der Zeit zwischen 1780 und 1800.
Der Grundgedanke ist schon in Freidanks mittelhochdeutscher Spruchdichtung "Bescheidenheit" (das heißt Bescheidwissen, Lebensweisheit) vom Jahre 1229 ausgesprochen: "Diu bant mac nieman vinden, diu mine gedanke binden".
Walther von der Vogelweide (etwa 1170 bis 1230) singt: "Sind doch Gedanken frei", der österreichische Minnesänger Dietmar von Aist (12. Jahrhundert): "Die Gedanken, die sind ledig frei".