Berg und Natur in Matrei in Osttirol - Nationalpark Hohe Tauern - 1997
Bergwanderwoche in Matrei in Osttirol
Heuer darf ich beim Bergwandern dabei sein, obwohl ich mich zu spät
angemeldet habe. Auf der Rückseite des Einladungsschreibens entdecke ich
eine aufgezeichnete Hand mit Linien und Punkten - ein Alphabet für
Taubblinde, für Suzanne. Die Teilnehmenden werden aufgefordert, es ein
wenig zu üben, damit wir mit Suzanne reden können. Ich schaue mir die
Sache nochmals genauer an. Es ist Semesterschluß, ich habe wie
verrückt gelernt, jetzt soll ich schon wieder lernen, noch dazu so etwas,
das ziemlich kompliziert aussieht? Ich hab wirklich keine Lust.
Am Samstag geht es dann los. Ich lerne die unterschiedlichsten Leute kennen.
Alle sind sehr offen, und es ist nicht schwer, aufeinander zuzugehen.
Am Sonntag ist Gipfelmesse am Speikboden, und Stefan feiert sie. Er ist erst vor
kurzem zum Priester geweiht worden, ist blind, und ich finde es toll, daß
er sich durchgekämpft hat. Selbstverständlich ist so etwas immer noch
nicht.
Nach einem Abstieg - sogar über ein paar Schneefelder - sitze ich dann am
Abend mit Suzanne am Tisch. Ich schaue zu, wie ihr Adi und Monika in die Hand
schreiben und sie nach der Hälfte schon weiß, was sie sagen wollen.
Blöd, denke ich, jetzt sitze ich mit der Frau am Tisch und kann mit ihr
nicht reden, bloß weil ich dieses Alphabet nicht kann. Am Abend liege ich
noch mit dem Zettel im Bett und beginne zu lernen. Nach einem wunderschönen
Tag auf der Arnitzalm, der Zunigalm und auf dem Ganitzel bekomme ich auf der
Heimfahrt eine weitere Unterrichtsstunde im
LORMEN,
so heißt das Taubblindenalphabet. Und am Abend "rede" ich mit
Suzanne - schüchtern anfangs, aber es klappt! Am Ende der Woche stellte ich
fest, daß ich mich mit Suzanne am meisten unterhalten habe.
Am Donnerstag geht es durchs Innergschlöß bis hinauf zum
Gletscherrand. Wir haben einen Begleiter von der Nationalparkverwaltung, Manuel.
Er erzählt uns viel über den Gletscher, die Blumen, den Sand aus der
Sahara, der sich am Gletscher ablagert. Wie klein ist doch die Welt, wie nah ist
alles beisammen, obwohl wir oft glauben, es liegen Welten dazwischen. Als Manuel
das Aussehen des milchig grünen Wassers genau beschreibt, das aus dem
Gletscher kommt und als Isel hier seinen Ursprung nimmt, bin ich beeindruckt.
Ich finde es toll, daß sich Menschen so schnell auf neue Situationen
einstellen können und beginnen, Dinge zu beschreiben, die "ja so und
so jeder sehen kann".
Am Freitag ist das Wetter grau, und wir haben Zeit, unsere Abschlußmesse
vorzubereiten. Ich bin ganz feierlich gestimmt und ziehe noch die letzten
sauberen Kleidungsstücke an, damit meine feierliche Stimmung auch nach
außen sichtbar wird. In der Messe darf ich alle Mitfeiernden
begrüßen - es wird ein richtiges Fest: sehr schön, sehr tief und
sehr persönlich.
Danach genießen wir noch einmal das gute Essen unserer Gastgeber - und
sagen einander Lebewohl, denn am nächsten Tag zerstreuen sich alle in alle
Winde ... vielleicht gibt es mit einigen ein
Wiedersehen!