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zur Navigation Inhalt überspringen Berg- und Wanderfreizeit Innichen / Südtirol - 28. 6. bis 6. 7. 1986

Eitel Sonnenschein herrschte nicht nur wettermäßig, sondern auch stimmungsmäßig, als wir uns zu einer achttägigen Bergfreizeit in Innichen / Südtirol trafen.
Wir, das war diesmal wieder eine internationale Gruppe, bestehend aus 22 Teilnehmern aus Österreich, 6 aus der BRD und je 1 Teilnehmer aus den Niederlanden und Italien.

Wenn man davon ausgeht, daß es eigentlich "normal" ist, wenn bei 30 Teilnehmern, die eine Woche lang auf engstem Raum zusammenleben, es zu irgendwelchen Unstimmigkeiten kommen muß, so verlief diese Freizeit "unnormal", denn die liebevolle Herzlichkeit und Kameradschaft ließen keinen Mißton aufkommen. Wenn es im Gedicht "Die Bürgschaft" von Friedrich von Schiller u.a. zum Schluß heißt: "Die Treue ist kein leerer Wahn, ich sei, gewährt mir die Bitte, in eurem Bunde der Dritte", so hat diese Freizeit auch wieder einmal mehr gezeigt, daß es kein leerer Wahn ist, an das Gute im Menschen und an die Nächstenliebe zu glauben, auch wenn die Realität im Alltag manchmal anders aussieht.

Eine Teilnehmerliste wurde nicht verlesen, sondern die Vorstellung erfolgte akustisch / persönlich, so daß wir Nichtsehenden uns die Stimmen einprägen konnten.

Da Pater Wilfried nur an einigen Tagen bei uns weilen konnte, hatte unser technischer Leiter, Rudi Pessl, es übernommen, unsere täglichen Aktivitäten mit einer morgendlichen Andacht einzuleiten. Bei der Messe, die wir mit P. Wilfried feierten, wurde mir für die dreimalige Teilnahme an verschiedenen Freizeiten das schlichte - schmucke Kreuz mit Edelweißsymbol überreicht, worüber ich mich sehr gefreut habe.

Rudi hatte ein "für jeden etwas" umfangreiches Kletter-/ Wanderprogramm zusammengestellt, in welchem diesmal auch einige sogenannte "dicke Brocken" vorkamen, die es an Schwierigkeiten in sich hatten. Dank der guten Führung unserer sehenden Begleiter/innen, welche nie müde wurden, uns die Schönheiten der Landschaft zu schildern und Gelegenheit gaben, die wunderbare Bergflora kennenzulernen, wobei wir z.T. tiefgebeugt die Formen der Blüten ertasten und den Duft aufnehmen konnten, wurden die gesteckten Ziele immer erreicht.

Am Anfang wurden wir im Klettergarten mit dem Umgang von Seilen und Karabinerhaken vertraut gemacht. Auch wurden wir in die Griff- und Trittechnik - es müssen immer 3 Berührungspunkte zum Felsen vorhanden sein - unterwiesen.
Nach der verhältnismäßig einfachen Besteigung des Haunoldköpfls, aber Abstieg durch eine nichtendenwollende Steinwüste, haben wir es schätzen gelernt, wie schön "normales Gehen" sein kann. Höhepunkte der Bergwoche waren u.a. die Nachtbesteigung (Beginn ½ 1 Uhr) zum Helm, wo wir auf dem Gipfel den Sonnenaufgang erleben und die sehenden Helfer Aufnahmen machen konnten. Dann für einige von uns die wohl schwierigste Besteigung des Paternkofels. Hier hatte Rudi die stärksten blinden Kletterer und sehr gute Führer/innen ausgesucht. Beim Begehen von tunnelartigen Gängen (Stellungen aus dem Krieg 1915 bis 1918) im Felseninneren waren manchmal die mitgebrachten Lampen nicht ausreichend oder ausgegangen, und hier konnten wir als Blinde unsere sonst sehenden Führer/innen durch die Dunkelheit führen, was uns besonders viel Spaß machte. Aber auch die Tagestour zum Gipfel des Seekofels (knapp 3000 m hoch) hatte es in sich. Am sogenannten Ruhetag haben wir eine Wanderung zur Waldkapelle in der Nähe von Sexten gemacht.

Jeweils nach dem Besteigen eines Gipfels haben wir unserem Herrgott für das unfallfreie Erreichen des Zieles mit einem Loblied gedankt.

Ein z.T. besinnlicher, z.T. lustiger Abschlußabend mit Gesangs- und anderen Vorträgen beendete diese wieder einmal "ach so schöne Bergfreizeit".
Die Abschlußmesse feierten wir zusammen mit Pater Peter.

Günter Meier, BRD
(blind)


Eine Sehende schildert ihre Eindrücke so:

Ich habe heuer meine zweite Bergfreizeit miterlebt - diesmal in Südtirol. Dieser Woche ging schon eine lange Vorfreude voraus, weil in diesen Tagen schalte ich immer vollkommen ab und genieße jede Minute.

Ich traf wieder einige Bergkameraden von meiner ersten Freizeit und lernte auch viele neue kennen. Für mich war diese Woche eine Zeit, wo unter 30 Leuten wirklich "Friede gelebt" wurde. Trotzdem alt und jung einfach zusammengewürfelt waren, verstanden sich alle sehr gut. Es war so viel Herzlichkeit untereinander da, wie man sie sehr selten erlebt und ich zehre noch lange von dieser Woche.

Wir waren meist in 2 bis 3 Gruppen aufgeteilt, je nachdem wieviel man sich zutraute und wie fit man war.
Von den einzelnen Touren könnte man viel erzählen, ich möchte nur zwei herausfassen, die mich besonders beeindruckt haben:

Zu unserer Nachtwanderung auf den Helm brachen wir schon um 1:30 Uhr auf, um den Sonnenaufgang zu erleben. Zuerst nur die schwarzen Berge und der sternenklare Himmel, nach und nach wird alles deutlicher. Der Tag erwacht ganz langsam - ein roter Streifen am Horizont und rundum, so weit man sieht nur Berge. Einfach die Stille genießen und bewußt miterleben, wie der Tag erwacht, wie unfaßbar schön die Bergwelt ist und all das unter Menschen, die man gern hat.

Die zweite Tour war auf den Paternkofel, wo wir das anwenden konnten, was im Klettergarten geübt worden war. Und das Erfolgserlebnis, wenn man es dann geschafft hat - und irgendwie gar nicht glauben kann, daß so etwas mit Nichtsehenden zu schaffen ist. Die Freude selber haben und von den Nichtsehenden miterleben, jeden Augenblick genießen, all das gibt einem viel Kraft für die kommenden Wochen im grauen Alltag.

Wieviel diese Woche dem Einzelnen gegeben hat, sagt ein einziger Satz von Ida (einer Nichtsehenden) für mich aus: "Ich habe in dieser Woche oft vergessen, daß ich blind bin".
Aber auch für mich als Sehende waren diese Tage in Innichen ein unvergeßliches Erlebnis und ich möchte allen danken, die uns solche Tage ermöglichen.

Martina Öhlinger, Oberösterreich